Die Novelle zur Straßenverkehrsordnung, die von der österreichischen Verkehrsministerin Leonore Gewessler am 29. April vorgestellt wurde, schlägt hohe Wellen und spaltet das Land. Während sich Radfahrer und Fußgänger freuen, sind Auto- und LKW-Fahrer verstimmt. Verkehrsexperten machen sich Sorgen, zumal die neuen Regeln viel Potenzial für noch mehr Unfälle bergen.
Nicht nur aus Umweltschutzgründen und wegen der Parkplatznot steigen immer mehr Menschen im urbanen Raum auf den Radverkehr um. Auch die steigenden Diesel- und Benzinpreise zwingen viele Verkehrsteilnehmer umzusatteln.
Das Miteinander auf den Straßen gestaltet sich mitunter schwierig. Während die Lenker zweispuriger Fahrzeuge oft beklagen, dass Radfahrer bei Rot über die Ampel fahren, plötzlich ausscheren und wenig Rücksicht auf andere nehmen, sehen das die Radfahrer ganz anders. Sie beanstanden, meist nicht als vollwertiges Verkehrsmitglied wahrgenommen zu werden, geben an, von Autofahrern geschnitten oder von LKW-Fahrern abgedrängt zu werden. Die Unfallstatistik spricht eine traurige Sprache.
Alleine im Vorjahr kamen auf Österreichs Straßen 50 Radfahrer ums Leben. Das sind um 25 Prozent mehr als im Jahr davor. Auch verletzt wurden in den letzten 30 Jahren noch nie so viele Radfahrer bei Verkehrsunfällen wie 2021. Da die Straßenverkehrsordnung Großteils aus den 60er-Jahren stammt, wollte man seitens des Verkehrsministeriums den Veränderungen Rechnung tragen und stattete kurzerhand Radfahrer und Fußgänger mit mehr Rechten aus. Zu kurz gedacht, wie mache meinen.
Neuerungen mit Zündstoff
Präsentiert wurde diese Novelle von der österreichischen Verkehrsministerin Leonore Gewessler am vergangenen Freitag. Wie alltagstauglich das diesbezüglich Ersonnene ist, wird die Zukunft weisen. Eine Zukunft, die vor allem für Radfahrer trotz der aktuellen Euphorie gar nicht so rosig sein könnte.
Ihre wohl markantesten Neuerungen bieten nämlich auch den meisten Zündstoff, denn nicht alle Verkehrsteilnehmer und Experten sind mit den Neuerungen glücklich. Künftig dürfen Radfahrer bei einer roten Ampel rechts abbiegen, wenn es die Verkehrssicherheit erlaubt. Außerdem ist es Radfahrern erlaubt gegen die Einbahn zu fahren, wenn ohne Parkplätze eine Breite von vier Metern gegeben ist und Tempo 30 oder weniger vorgeschrieben ist. In Wohnstraßen, die auch Einbahn sind, war das bisher schon gestattet. Experten fürchten, dass diese Neuerungen zu noch mehr Unfällen führen könnten.
Kritik des ÖAMTC-Juristen
So meint etwa der ÖAMTC-Jurist Matthias Wolf, dass das Gesetz definitiv nachgeschärft werden sollte. Konkret kritisiert der Experte, dass die Regierung bei der StVO-Novelle offenbar keinen Blick auf das Unfallgeschehen geworfen hat: „Laut Statistik ereignet sich die Hälfte aller Unfälle mit Radfahrenden an Kreuzungen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wieso gerade dort mit komplizierten Regeln noch mehr Unsicherheit geschaffen wird.“ Wolf bezieht sich auf die Pläne der Verkehrsministerin, Radfahrenden künftig unter gewissen Voraussetzungen, die praxisfern formuliert sind, das Abbiegen bei Rot zu erlauben.
Ende 2021 hat der Mobilitätsclub eine Umfrage unter 1.483 Mitgliedern durchgeführt. Eine der Fragen bezog sich auf die Erlaubnis für Radfahrende, bei Rot abzubiegen. „Das Ergebnis war eindeutig: sieben von zehn Befragten lehnten diese Idee ab“, hält Wolf fest. Weiters war die Hälfte der Befragten dagegen, Radfahrenden zu erlauben, auf allen Straßen nebeneinander fahren zu dürfen. „Diese Befragung zeigt deutlich, wie hoch das Konfliktpotenzial wäre, wenn gewisse Regeln durchgepeitscht werden“, erklärt der ÖAMTC-Jurist. „Vor allem – und unabhängig davon – muss letztlich jedoch die Sicherheit an oberster Stelle stehen. Und hier sprechen die Zahlen leider eine deutliche Sprache.“
„Realitätsfremdes Unsicherheitspaket“
Als „realitätsfremdes Unsicherheitspaket“ kritisierte Verkehrssprecher NAbg. Christian Hafenecker von der Oppositionspartei FPÖ. „Diese Novelle ist reinste grüne Klientelpolitik. Damit wird genau das Gegenteil des angeblichen Ziels, mehr Sicherheit im Straßenverkehr insbesondere für Radfahrer zu schaffen, erreicht: Durch die Ermöglichung des Rechtsabbiegens bei Rot oder des Fahrens gegen die Einbahn für Radfahrer werden gefährliche Verkehrssituationen geradezu geschaffen und Unfälle provoziert“, erklärte Hafenecker.
Die wichtigsten Änderungen im Radverkehr:
- Mindestabstand beim Überholen von Radfahrenden von 1,5 m innerorts und 2 m außerorts (Ausnahme: KFZ fährt höchstens 30 km/h schnell, kann der Seitenabstand reduziert werden)
- Öffnung von Einbahnen für den Radverkehr: Einbahnstraßen mit einer Breite von mindestens 4 m (ohne Parkplätze) und Tempo 30 (oder weniger) sind künftig durch die jeweilige Behörde verpflichtend per Verordnung für den Radverkehr zu öffnen und entsprechend zu beschildern, außer die Behörde begründet dass die Sicherheit nicht gegeben ist. In Wohnstraßen, die gleichzeitig auch Einbahnen sind, darf schon bisher gegen die Einbahn mit dem Rad gefahren werden; dies wird auf Begegnungszonen ausgeweitet.
- Nebeneinanderfahren erleichtern: Neben einem Kind fahren wird grundsätzlich erlaubt, außer auf Schienenstraßen, ansonsten für zwei Radfahrende bei Tempo 30 (außer Schienen- und Vorrangstraßen). Darauf zu achten ist, dass niemand dabei niemand gefährdet und am Überholen gehindert wird.
- Flexibilität für Behörden bei Radinfrastrukturplanung: weniger gesetzliche Vorgaben bei Platzierung von Verkehrszeichen, VO-Ermächtigung zum Befahren durch landwirtschaftliche Fahrzeuge und (außerorts) bestimme E-Zweiräder (S-Pedelecs)
- Erleichtertes Radfahren in Gruppen: fährt eine Gruppe (mindestens 10 Personen, erste und letzte tragen Warnwesten) in eine Kreuzung ein, ist ihnen das gemeinsame Verlassen einer Kreuzung zu ermöglichen (z. B. wenn die Ampel währenddessen auf Rot umgeschaltet hat). Voraussetzung ist, dass dabei der Voranfahrende stehen bleibt und das Ende der Gruppe anzeigt.
- Abbiegen – der „Grünpfeil“ kommt: Die Behörde kann Rechtsabbiegen bei Rot mit eigenem Verkehrszeichen erlauben, wenn es die Verkehrssicherheit nicht gefährdet. Davor muss der/die Radfahrende anhalten und sicherstellen, dass das Abbiegen ohne Gefahr, vor allem für Fußgänger:innen, möglich ist.
Die wichtigsten Änderungen im Fußgängerverkehr:
- Die immer beliebter werdende „Schulstraße“ wird als eigenes Instrument und mit einem eigenen Verkehrszeichen für die Behörden in der StVO verankert, dies musste bisher mit einzelnen Fahrverboten geregelt werden.
- Fußgängerfreundliche Ampelschaltungen: Ampeln sind so zu schalten, sodass neben den Erfordernissen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nun auch die Bedürfnisse von Fußgänger:innen, nach kurzer Wartezeit und ohne Eile queren zu können, berücksichtigt werden.
- Ende der Behinderung von Fußgänger:innen: Behindern von Fußgänger:innen auf Gehsteigen und Gehwegen durch Fahrzeuglenker und Hindernisse wird klar untersagt.
- Sicherere Öffi-Haltestellen: Fahrzeuge müssen ausnahmslos stehenbleiben, solange Fahrgäste ein- und aussteigen. Damit gilt das Vorbeifahren an der Ausstiegsseite von Öffis in einer Haltestelle nicht mehr.
- LKW-Sicherheit beim Rechtsabbiegen: Schrittgeschwindigkeit, wenn mit Fußgänger:innen zu rechnen ist. Verordnung von Abbiegeverbot für LKW ohne Assistenzsystem wird erleichtert, indem Beifahrer:in dieses ersetzen kann.
- Mehr Sicherheit bei Häftlingstransporten: praxisnahe Regelungen für Fahrzeuge der Strafvollzugsverwaltung
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